Eigentlich sah es so aus, als würde es diesen Sommer ganz gut laufen für John Textor, dem US-amerikanischen Fußball-Investor, Ex-Eigentümer von Crystal Palace und Eigentümer von Olympique Lyon. Zum ersten Mal gewann Crystal Palaca, da auch noch unter Textors Führung, den FA Cup. Dann erfüllte Pep Guardiola mit Manchester City die Ablöseforderung Textors für Lyon-Star Ryan Cherki, die der BVB sich über eineinhalb Jahre zu zahlen geweigert hatte. Und auch beim Rechtsstreit zwischen OL und der französischen Fußballliga, die gegen Textors Klub ermittelte, weil dieser, wie so viele Vereine in Frankreich, in finanzielle Schieflage geraten war, gab sich Textor optimistisch.
Doch nicht nur war der Pokalsieg Palaces, wie Ex-Finanzminister Lindner sagen würde, eher eine dornige Chance, weil die Uefa es verbietet, dass ein Eigentümer Einfluss an zwei Teams haben darf, die im selben europäischen Wettbewerb antreten (und nach dem Pokalsieg der Londoner waren sowohl sie als auch Olympique Lyon für die Europa League qualifiziert). Textor musste Palace verkaufen, fand einen Käufer und wartet nun nur noch auf die Bestätigung der Premier League.

Auch sein unbändiger Optimismus mit Blick auf das Verfahren in Frankreich täuschte den Investor bitterlich. Denn das Urteil sieht für Lyon, obwohl Textor mit Spielerverkäufen und dem Verkauf von Crystal Palace Geld für seine Fußball Holding sammeln konnte, den Zwangsabstieg in die zweite Liga vor. Olympique Lyon hat unter Textor mehr als 500 Millionen Euro Schulden angehäuft, der Ligaverband glaubt nicht, dass sich OL erstklassigen Profifußball überhaupt noch leisten kann.
Überraschend kam das Urteil dabei eigentlich nicht – also für alle außer dem scheinbar über den Dingen schwebenden John Textor: Schon vor einem halben Jahr hatte das Ligagericht Olympique nämlich öffentlich unter Druck gesetzt, als es die Strafe zwar schon formuliert, aber noch als Bewährung ausgesprochen hatte. Würden nicht gut zwei Drittel der Schuldenlast vom Klub genommen werden, wie auch immer, würde das damalige Urteil vollstreckt. Textor reduzierte daraufhin – wie gesagt – zwar die Schulden. Aber bei weitem nicht um zwei Drittel. Der Zwangsabstieg ist also die traurige aber logische Konsequenz.
Es ist ein tiefer Fall: Noch zwischen 2002 und 2008 gewann OL als erster franzöischer Verein sieben Mal in Folge die franzöische Männer-Meisterschaft. 2007 gewannen sogar Männer und Frauen gleichzeitig den Liga-Titel – auch das hatte in Frankreich noch kein anderer Verein geschafft. 2010 stand man überdies im Halbfinale der Champions Leaque. Heute wirkt das wie ein Fußball-Märchen aus einer anderen Zeit: Aber OL wurde damals wirklich noch von einem lokalen Unternehmer kontrolliert. Und Paris St. Germain, das Dank seines Verkaufs an Katar heute das Nonplusultra im französischen Fußball ist, war ein Skandal-behafteter Mittelfeldklub, der anders als die Pariser Traditionsvereine kaum beachtet wurde.
Noch mehr Fußballromantik gefällig? Bitteschön: Seit 1896 wird bei Olympique Lyon gekickt. Bis 1950 teilten sich dabei Rugby-Spieler, die in Frankreich wie in vielen europäischen Länder auch Wegbereiter für den Fußball waren, und Fußballer einen Vereinen. Erst dann folgte die Trennung – und erst mit ihr der endgültige Aufstieg des Profifußballs in Lyon.
John Textor will in Berufung gegen den Zwangsabstieg gehen und so um die Erstklassigkeit kämpfen. Aber sollte das nicht gelingen, bleiben massive Zweifel an der Überlebensfähigkeit von OL in der zweiten Liga. Der Fall erinnert nämlich stark an den von Gironidins Bordeaux: 2022 stieg Gironidins zunächst sportlich aus der ersten Liga ab, 2024 wurde man dann, wie nun Lyon, vom Ligagericht wegen massiver finanzieller Probleme in die dritte Liga Strafversetzt. Die aber konnte man sich in Bordeaux in Anbetracht der Schuldenlast nicht leisten, man gab darum stattdessen den Profistatus auf und spielt seither viertklassig.
Auch andere Vereine in Frankreich haben massive finanzielle Probleme – und das obwohl ausnahmslos alle einem Investoren gehören. Außer Paris St. Germain profitiert in unserem Nachbarland bislang kein Klub tatsächlich von einem stadt- und vereinsfremden Geldgeber. Das Problem wird dabei immer schwerwiegender: In der kommenden Saison werden nur 5 der 20 Teams regionale Eigentümer haben.
Und wegen eines ziemlich zwielichtigen Investorendeals bei der TV-Rechtevermarktung droht sich das Problem in Zukunft noch weiter zuzuspitzen. 2022 einigten sich die Vereine im Ligaverband mit dem Luxenburger Medienunternehmen CVC auf eine strategische Partnerschaft: Für einmalig (!) 1,5 Milliarden Euro sicherte sich das Unternehmen dauerhaft mindestens 13% der TV-Einnahmen. Nachdem die TV-Einnahmen in Frankreich im Zuge der Corona-Pandemie um mehr als ein Drittel gefallen waren, sollte der Investoreneinstieg die Wende bringen. Das scheiterte: DAZN und BEin Sports zahlen bis 2028 weiterhin nur 500 Millionen statt der avesierten Milliarde. Diese Summe, deutlich unter dem, was man noch im Corona-Jahr 2021 umsetzen konnte, hatte man zuvor auch noch Investor erzielt. Das CVC-Geld ist dabei längst auf die Vereine verteilt – vor allem übrigens an Paris St. Germain: Denn die Verteilung des Geldes von CVC sah vor, dass Paris Saint-Germain 200 Millionen Euro erhält. Olympique Marseille und Olympique Lyon erhielten je 90 Millionen, es folgten OGC Nizza, Stade Rennes, Lille OSC und AS Monaco mit je 80 Millionen. Die restlichen Klubs bekamen je 33 Millionen Euro. Für die Aufsteiger waren hingegen nur 1,5 Millionen Euro vorgesehen, also 0,75 Prozent des Anteils von Paris. So verschärft man eine Finanzkrise und löst sie nicht.
Noch krasser an dem Deal ist aber, dass es keine zeitliche Befristung gibt. Zum Vergleich: Auch die Bundesliga wollte ihre TV-Rechte zukünftig mit Hilfe eines Investors vermarkten. Auch hier galt CVC als Favorit. Doch in Deutschland sollte der Invesotrenzeitraum befristet sein – heißt: CVC hätte in Deutschland nur 20 Jahre lang einen Anteil an den Erlösungen bekommen, in Frankreich sicherten sich die Luxenburger 13% für alle Zeit. Es gibt also keine Möglichkeit zur Korrektur. Wie es dazu kommen konnte? Einerseits brauchten viele Klubs möglichst kurzfristig möglichst viel Geld, um ihr Überleben erst einmal zu sichern. Andererseits werden viele Klubs von Investoren kontrolliert, denen es um ihre Rendite, nicht um die langfristige Entwicklung des Vereins über ihr Engagement hinaus geht. Beispiel John Textor: Mit dem Verkauf seiner Anteile an Crystal Palace machte er einen Gewinn von 100 Millionen Euro – nach nur vier Jahren Beteiligung.
Zu sehen, wie Traditionsvereine langsam aber sicher sterben, tut jedem Fußballfan weh. Als in Deutschland 2023 der Abstieg von Schalke 04 feststand, hoffte so selbst Kevin Großkreutz öffentlich auf einen raschen Wiederaufstieg.
In Frankreich aber werden die Vereine systematisch vernichtet. Geschäftsmänner kontrollieren die Klubs und schauen dabei aber eben nicht auf den nachhaltigen sportlichen Erfolg, wie Gegner der 50+1-Regel in Deutschland immer wieder behaupten, sondern doch nur auf ihre kurzfristige Rendite. Der Aufstieg deutscher Vereine an die Weltspitze, wenn man sie nur von Martin Kind kontrollieren lassen würde, ist die wahre Märchengeschichte in diesem Text. Dass der franzöische Fußball ohne Investoren wie John Textor und Multi-Klub-Ownership besser dran war schlichtweg Realität.
Das überrascht natürlich nicht.
Aber es muss immer wieder erwähnt werden, denn mindestens mit diesem Argument werden wir die 50+1-Regel hier zumindest auch in Zukunft verteidigen können.
Oder, um es mit Rio Reiser zu sagen: Zauberland ist abgebrannt. Zauberland brennt noch – irgendwo.