Die ersten 12 Minuten der Spiele in der Bundesliga waren an diesem Wochenende eine ziemlich trostlose Angelegenheit. Der Grund: deutschlandweit stellen die organisierten Fanszenen aus Protest gegen die aktuellen Vorhaben der Bundesinnenministerkonferenz ihren Support ein. 12 Minuten ohne „zwölften Mann“ – Weil die Fans ihre Existenzgrundlage bedroht sehen.

Und darum geht es konkret: Zukünftig soll es sogar schon bei Verdachtsfällen die Möglichkeit geben, ein Stadionverbot auszusprechen. Aus Sicht der Fans das Ende der Unschuldsvermutung. Außerdem sollen Stadionverbote zukünftig an einer zentralen Stelle gespeichert und überwacht werden. Zudem wehren sie sich gegen personalisierte Tickets und eine mögliche KI-gestützte Gesichtserkennung. In einem Statement diverser Fankurven heißt es: „Die Äußerungen der IMK und die geplanten Änderungen zerstören nicht nur freie Fankultur, sondern greifen auch massiv und unbegründet in die Vereinsstrukturen ein.“ Und weiter: „Die jahrelange gute Arbeit der Vereine und ihrer Partner wird ohne tatsächlichen Anlass mit Füßen getreten, das Erlebnis Stadionbesuch durch Unwahrheiten und egoistische Politiker massiv in seinem Ruf geschädigt.“

Und gerade dieser Punkt ist für die Fans von entscheidender Bedeutung: Der Fußball ist sicher. Die aktuelle Studienlage zeigt: Stadionbesuche werden sogar von Jahr zu Jahr immer sicherer. Das geht aus dem Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) hervor. Demnach gab es bei den wichtigsten Parametern – verletzte Personen, Strafverfahren und Polizei-Arbeitsstunden – jeweils einen Rückgang der Zahlen, obwohl mehr Zuschauer in die Stadien geströmt waren als in der Saison davor. In der Spielzeit 2024/2025 wurden demnach während des Ligaspielbetriebs der ersten drei Ligen 1.107 Menschen verletzt, das ist im Vergleich zur Saison 2023/2024 (1.338) ein Rückgang von 17,2 Prozent. Die von Polizeibehörden eingeleiteten Strafverfahren (5.197) gingen sogar um 22 Prozent zurück. Überall in den Stadien war darum auf Bannern zu lesen: „Eure eigenen Studien zeigen, Fußball ist sicher!“ Wieso es gerade jetzt Eingriffe in ihre Grundrechte geben soll, können die Fans darum wirklich nicht verstehen.

Auch von der DFL kommt dabei übrigens Kritik an den Vorhaben der Innenminister*innen: „Der deutsche Profifußball ist bekannt für eine vielfältige, einzigartige Fankultur und stimmungsvolle Stadien. Das Stadionerlebnis in Deutschland ist zudem sicher. Die offiziellen Statistiken, etwa der Zentralen Informationsstelle Sporteinätze der Polizei, sowie Umfragen unter Besucherinnen und Besuchern der Stadien bestätigen dies ausdrücklich. Zudem arbeiten DFB, DFL, Clubs und alle Netzwerkpartner gemeinsam stetig und intensiv an der weiteren Verbesserung der Stadionsicherheit unter Wahrung der positiven Fankultur“, heißt es in einem Statement. In der Tat zeigen die Statistiken: Die Anzahl der verletzten Stadionbesucher*innen ist rückläufig. Die DFL darum weiter: „Die vielfältige deutsche Fankultur ist im internationalen Vergleich einzigartig. Sie gerät jedoch aktuell von zwei Seiten unter Druck. Zum einen durch die Gewaltbereitschaft krimineller Einzeltäter, zum anderen stehen infolgedessen aus der Politik Androhungen von zum Teil auch kollektiv wirkenden behördlichen Maßnahmen im Raum, die viele Fans und Unbeteiligte betreffen würden. Es wurden beispielsweise die Reduzierung bzw. Streichung von Kartenkontingenten für Gästefans oder die Verpflichtung zur Personalisierung von Tickets gefordert. Thematisiert wurde auch, dass von den Behörden Sicherheitskonzepte der Clubs nicht mehr genehmigt werden, so dass Spiele im Zweifel nicht stattfinden könnten. Aus Sicht des Fußballs sollten derartige einseitige Eingriffe der Behörden unbedingt vermieden werden, weil sie nicht auf die Täter zielen und zur Zielerreichung ungeeignet sind.“

Auch das Thema Präventition spiele in der aktuellen Debatte eine zu geringe Rolle, klagt der Ligaverband: „Ein wichtiges Mittel im Konsens mit der Politik bleibt die Prävention, gepaart mit einer vertrauensvollen Zusammenarbeit aller Netzwerkpartner. Auch die von DFB und DFL zugesagte Erhöhung der Mittel für die sozialpädagogischen Fanprojekte soll dem Ausbau der Präventionsarbeit dienen. Zudem sind die in vielen Bundesländern vorhandenen Stadionallianzen bereits ein wirksames Instrument.“ Allerdings kritisieren Fanbeauftragte, dass es zur Zeit noch kein Schweigerecht in der Sozialen Arbeit gibt, was deren Arbeit erheblich beschwert, worüber FanLeben.de ebenfalls bereits berichtet hat. Übrigens: Auch das von den Innenminister*innen aversierte Mehr an Stadionverboten kommt bei der DFL nicht gut an. Im Statement heißt es dazu: „Im Hinblick auf die Einzeltäterverfolgung fordert der Fußball zudem ausdrücklich, dass ein Stadionverbot sich auf konkrete, nachweisliche Tatsachen von hinreichendem Gewicht stützen muss, die in der Mitteilung zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens an die lokale Stadionverbotskommission ausführlich dargelegt werden müssen. Stadionverbote ‚mit der Gießkanne‘ kann es nicht geben. Ein Stadionverbot muss sich gegen Personen richten, bei denen die Besorgnis besteht, dass sie Störungen bei Fußballveranstaltungen verursachen werden. Entsprechend bedarf es beschleunigter Verfahren mit angemessenen Fristen.“

Auch Kollektivstrafen kritisiert insbesondere der DFB in einem aktuellen Statement: „Kollektiv wirkende behördliche Maßnahmen, wie sie teilweise von Seiten der Innenpolitik gefordert werden, sind weder mit Blick auf eine Verbesserung der Stadionsicherheit zielführend noch für die vielen Millionen von Fußballfans vermittelbar, die von diesen Maßnahmen betroffen wären. Dies meint ausdrücklich Maßnahmen wie die Reduzierung beziehungsweise Streichung von Kartenkontingenten für Gästefans oder die Verpflichtung zur Personalisierung und damit verbundene Identifizierung beim Einlass.“

Michael Gabriel, Leiter Koordinationsstelle Fanprojekte, sagt: „Das Stadion ist sicher – das belegen alle relevanten Daten. Kollektive Maßnahmen, die von den Polizeien ins Spiel gebracht werden, lösen die eigentlichen Probleme nicht. Stattdessen müssen wir die Chancen der Präventionsarbeit nutzen, um Vertrauen und Dialog zu stärken. Denn eines ist klar: Wenn Gewalt in den Fanszenen an Bedeutung gewinnt, gefährdet das nicht nur die Sicherheit, sondern auch die positiven Werte und die Vielfalt der Fankultur, die wir alle erhalten wollen.“ Und auch Dr. Martin Fröhlich, Vorsitzender Kommission Fans und Fankulturen beim DFB, ergänzt: „Fußball ist mehr als ein Spiel – er wirkt als gesellschaftlicher Kitt. Die positiven Elemente der Fankultur sind unverzichtbar für unsere Demokratie. DFB und DFL haben in dieser Hinsicht unsere volle Unterstützung für die weiteren Gespräche. Unser gemeinsames Ziel – von Fans, Vereinen, Verbänden – muss sein, eine positive und vor allem gewaltfreie Fankultur zu stärken.“

FanLeben.de-Kommentar: Die Fans haben Recht!

Die Fan-Kritik addressiert eindeutig wichtige Themen: Eine Einschränkung der Unschuldsvermutung etwa ist eine extrem weitreichende Maßnahme, die kaum im Einklang mit dem Grundgedanken unseres Rechtsstaats begründbar sein dürfte. KI-Gesichtserkennungen lösen darüber hinaus immense Datenschutz-rechtliche Bedenken aus – keinesfalls dürfen populistische Entscheidungen gegen vermeintliche Randerlierer*innen beim Fußball als Blaupause dafür genutzt werden, gesamtgesellschaftliche Freiheitsrechte insgesamt einzuschränken. Dagegen ist (nicht nur Fan-)Protest bitter nötig. Besonders beeindruckend am Fan-Protest ist aber auch, dass die Fans nicht nur Verschlechterungen abwehren wollen, sondern sogar mehr Rechte für sich fordern, etwa im Umgang mit Pyrotechnik, über Möglichkeiten dazu hat FanLeben.de hier bereits berichtet. So zeigen sie eine klare, progressive Alternative zu den Ideen der Innenminister*innenkonferenz auf.

All das zeigt: Die Fans haben ein berechtigtes Anliegen und eigene, konkrete Ideen, wie für (noch) mehr Sicherheit in den Stadien gesorgt werden kann. Mindestens kann deswegen festgehalten werden, dass es vollkommen unverständlich ist, dass die Innenminister*innenkonferenz nicht zumindest einmal Fanvertreter*innen in ihre Entscheidungsfindung einbezogen hat. Das – soviel steht fest – sorgt für eine Entfremdung zwischen Fans und Politik. Und die ist auch demokratietheoretisch destruktiv. Mindest einmal in diesem Punkt würde man sich von Innenminsiter*innen mehr Weitsicht wünschen.

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Von admin