Sandro Wagner ist also nicht mehr Trainer beim FC Augsburg. Viele Fans bei den Fuggerstädtern sind erleichtert. Und so bleibt das Intermezzo Wagners wohl ein 12 Bundesliga- und zwei Pokalspiele andauerndes Missverständnis. Aber wie konnte es dazu kommen? Um die Entscheidung hinter der Wagner-Verpflichtung und der Wagner-Trennung zu verstehen, muss man einen Mann verstehen lernen: Michael Ströll, den Geschäftsführer des Bundesligisten. Sein Weg ist brutal eng mit dem des FCA in den letzten 20 Jahren verzahnt, obwohl Ströll selbst gerade einmal 41 Jahre alt ist. Wie seine Geschichte klingt und wie es jetzt in Augsburg weiter gehen könnte, das erklärt FanLeben.de hier:
In der Junioren-Bundesliga schnürte Michael Ströll die Schuhe für Jahn Regensburg, später für Weiden in der Bayernliga und die zweite Mannschaft des FCA. Was erst einmal so unspektakulär, wie man es bis letztes Jahr von einem Augsburg-Manager erwartet hätte, ist das aber nur auf den ersten Blick. Denn trainiert wurde Ströll damals schon von einem gewissen Thomas Tuchel und ein Mitspieler bei den Augusburger Amateuren war immerhin Julian Nagelsmann. Wie für Tuchel und Nagelsmann sollte es nun also auch für Ströll über Umwege in den Profifußball gehen. Aber nicht als Spieler oder Trainer, sondern als Funktionär. Auch gut.
2008 bot sich Ströll nämlich, nachdem er 2006 erstmals als Praktikant auf die FCA-Geschäftsstelle gekommen war, die große Chance: Ein fester Job bei „seinem“ FC Augsburg, der gerade in die 2. Bundesliga aufgestiegen war. Kurzerhand brach er sein Auslandssemester in Brasilien ab, kehrte zurück in die Heimat und tauchte ein in die Strukturen eines Vereins, der damals allerdings noch in ganz anderen Dimensionen unterwegs war: Vier festangestellte Mitarbeiter, eine Geschäftsstelle an der Donauwörther Straße, Fensterscheiben mit Sprung, im Winter wurde im Büro in Jacke und Mütze gearbeitet – weil eine Reparatur der Fenster zu teuer gewesen wäre. Vom Praktikanten in der Buchhaltung arbeitete er sich dann Schritt für Schritt nach oben. 2016 rückte er dann sogar in die Geschäftsführung auf. Damals noch als Co-Geschäftsführer von Stefan Reuter, dem Geschäftsführer Sport, seit dessen Wechsel in eine Berater-Rolle 2023, ist Ströll seit knapp zwei Jahren nun sogar der alleinige Boss in Augsburg.
Was sich seit seinem Einstieg verändert hat, lässt sich dabei durchaus in Zahlen fassen: Lag der Umsatz zu Beginn seiner Amtszeit bei rund zehn Millionen Euro, sind es heute mehr als 100 Millionen. Der Verein beschäftigt statt Strölls 4 Kollegen aus Praktikumszeiten inzwischen rund 150 festangestellte Mitarbeiter und verfügt statt über eine drückende Altschuldenlast über 40 Millionen Euro Eigenkapital sowie ein Immobilienvermögen im Wert von 120 Millionen. Bei der jüngst abgehaltenden Mitgliederversammlung gab man zudem bekannt, dass der FC Augusburg die Schallmauer von 30.000 Mitgliedern durchbrochen hat. Beeindruckend! „Es ist unglaublich, dass eine solche Entwicklung möglich war“, findet auch Michael Ströll. „Natürlich braucht es Glück – aber auch einen klaren, langfristigen Plan.“
Michael Ströll leitet eines der spannendsten Projekte der Bundesliga. Aber zur Glorifizierung taugt dieser Weg nicht. Denn viel von dem Wachstum, das Augsburg in den vergangenen 15 Jahren erzielt hat, war künstlich erzielt. Walter Seinsh, mit dem der FCA als Präsident in die Bundesliga aufstieg, agierte noch als Vereins-naher Mäzen. Sein Nachfolger, Rüdiger Hofmann, hingegen schon als Investor. Er erwarb Anteile an der ausgegliederten Kapitalgesellschaft und lies sich zum Vereinspräsidenten wählen – auch eine Art, die 50+1-Regel zu umgehen. Hofmann hat die Doppelrolle als Präsident und Investor mittlerweile zwar wieder aufgegeben, Markus Krapf steht jetzt an der Spitze des Vereins. Dafür hat er seine Rolle als Investor ausgebaut: Die Hofmann-Beteiligungs-GmbH hält mittlerweile 99,4% Kommandit-Anteile an der Profifußballgesellschaft, ist damit allerdings ja nicht zur Geschäftsführung berechtigt. Dafür hat Hofmann Teile seiner GmbH am Verein vorbei verkauft: 45% hält die US-amerikanische Beteiligungsgesellschaft Bolt Football Holdings von David Blitzer, die ansonsten an Crystal Palace aus der englischen Premier League, das Basketballteam Philadelphia 76ers aus der nordamerikanischen NBA sowie die New Jersey Devils aus der Eishockeyliga NHL beteiligt ist. Der belgische Erstligist Waasland-Beveren gehört der Bolt-Gruppe seit September 2020 zu 97 Prozent. Blitzers Team bringt zwar Know-how in den FC Augsburg ein, finanziell am Einstieg profitiert hat der Stammverein durch die Hofmann-Konstruktion aber nicht. Der FCA ist damit aber de Facto auch Teil eines Multi-Club-Ownerships. Darüber, warum solche Konstruktionen problematisch sind, hat FanLeben.de bereits berichtet.
Einen echten Konfliktpunkt haben CEO und Kapitalseite dabei übrigens beim Thema 50+1: Michael Ströll spricht sich klar für den Erhalt der 50+1-Regel aus – eine generelle Abschaffung lehnt er ab. Zugleich fordert er, dass etwaige Ausnahmeregelungen nur dann zulässig seien, wenn sie für alle gelten oder für niemanden. Eine komplette Abschaffung hält er – im Unterschied zu manchen Kritikern – nicht für sinnvoll, da sie die Chancengleichheit im deutschen Fußball massiv gefährden würde. Ströll warnt davor, einzelnen Vereinen Sonderrechte einzuräumen, da dies das Prinzip untergraben und das Wettbewerbsgefüge verzerren würde Klaus Hofmann hingegen schlägt vor, dass jeder Klub selbst entscheiden soll, ob er mehr als 50% seiner Anteile verkaufen möchte – beim FC Augsburg hätte dann er das Sagen.
Doch trotz aller Planungen, des stetigen Wachstums und der – oft unterschätzten – festen Verankerung in der Region, Heimspiele beim FCA sind längst auch fast immer ausverkauft, wurde Strölls-Verein lange noch als graue Maus der Bundesliga wahrgenommen. Manager Ströll passt das gar nicht. Nach 15 Bundesliga-Jahren sollte der FCA darum den nächsten Schritt gehen, auch neben dem Platz. Vor dieser Saison entließ Ströll darum Trainer Jess Thorup und Sportdirektor Marinko Jurendic – trotz respektabler sportlicher Bilanz, der FC Augsburg steckte letzte Saison immerhin gar nicht wirklich im Abstiegskampf. Eine Entscheidung, die nicht überall auf Verständnis stieß. Kritiker bemängeln die hohe Fluktuation auf der Trainerbank während seiner Amtszeit. Ströll aber bleibt bei seinem Kurs. Mit Sandro Wagner holte Ströll darum einen neuen Trainer, der nicht nur fußballerisch, sondern auch medial für frischen Wind sorgen sollte. Der ehemalige TV-Experte und Co-Trainer von Julian Nagelsmann bei der Nationalmannschaft steht wie kein Zweiter für eine neue Sprache im Fußball – klar, direkt, meinungsstark. Aber auch taktisch steht er für einen anspruchsvollen, ballbesitzorientierten Fußball. Unterklassig hatte dieser Wagner-Ball dabei durchaus gut funktioniert: Mit der A-Jugend von Unterhaching stieg er direkt mal in die Bundesliga auf, mit der erste Mannschaft der Münchener Vorstädter wiederholte er das: Mit fast den selben Spielern in seinem Kader, stieg er aus der Regionalliga in die 3. Liga auf. Danach zog er weiter – über den Expertenjob zur Co-Trainer-Stelle bei Julian Nagelsmann, die er im Sommer für Augsburg aufgab.
Sandro Wagner sollte dabei auch die neue sportliche Ausrichtung beim FCA verkörpern, die Ströll und Reuer vor zweieinhalb Jahren verabredet hatten: Mehr Nachwuchs, mehr eigene Identität, mehr Bodenständigkeit. Bis dahin hatte es kaum ein Spieler aus dem Nachwuchs der Fuggerstädter in die Bundesliga geschafft, mit Mert Kömür ist erstmals ein Eigengewächs Stammspieler. Mit Tobias Jäger, Noahkai Banks und Mahmut Küçükşahin sind drei weitere Talente fest für die Bundesliga eingeplant, einige weitere stehen auf dem Sprung. Auch das Durchschnittsalter der Neuzugänge beträgt diese Saison nur 24 Jahre. Insbesondere Kömur wusste in dieser Spielzeit auch zu überzeugen und entwickelte sich trotz namenhafter Konkurrenz zum deutschen U21-Nationalspieler.
Seit heute steht trotzdem fest: Diese Neuaufstellung des FC Augsburg ist gescheiert – zumindest der Weg mit Cheftrainer Sandro Wagner. Denn schon acht Niederlagen setzte es unter dem in den ersten 12 Bundesligaspielen, dazu schieden die Fuggerstädter auch im DFB Pokal aus – gegen den bis dahin ziemlich ratlos machenden Zweitligisten VfL Bochum. Trotzdem steht der FCA in der Bundesliga gar nicht mal so schlecht da: Durch drei Siege und ein Unentschieden in den übrigen vier Partien hat man immerhin schon zehn Punkte gesammelt, das reicht für Platz 14 und drei Punkte Vorsprung auf einen direkten Abstiegsplatz. Hauptgrund für die Entlassung soll darum auch gewesen, dass Wagner im Gespräch mit Ströll und Sportdirektor Benjamin Weber, der vor der Saison vom SC Paderborn kam und vorher als Co-Trainer von Thomas Tuchel zahlreiche Titel gewinnen konnte, nicht mehr das nötige Vertrauen ausgestrahlt haben, die Wende mit seiner Mannschaft schaffen zu können. Und damit gibt es eben gute Argumente für die Trennung. Ströll, das weiß man, zögert dann nicht.
Aber auch die Konstellation zwischen Ströll und Investor Hofmann könnten die Trennung befeuert haben. Denn zwischen dem Geschäftsführer und dem Gesellschafter knatscht es immer wieder. Auch bei Personalfragen: Seit 2022 streiten sie sich über die strategische Ausrichtung. Hofmann will über den jüngsten Trainerwechsel von Thorup zu Wagner zum Beispiel nicht informiert worden sein.
Mit Manuel Baum übernimmt als Interimstrainer nun ein alter Bekannter die Augsburger Bundesliga-Mannschaft: Schon einmal zwischen 2016 und 2019 trainierte er den FCA, wurde anschließend Juniorentrainer beim DFB und scheiterte als Bundesliga-Trainer beim FC Schalke. Spannend: Auch 2016 war Baum eigentlich nicht als Cheftrainer zum FC Augsburg gekommen, sondern als sportlicher Leiter für den Nachwuchs. Auch in diesem Sommer kehrte Baum eigentlich in anderer Funktion, nämlich als Leiter für technische Innovation, nach Augsburg zurück. Aber das ist nur eine Randnotiz.
Zum neuen Jahr soll nämlich ohnehin ein neuer Cheftrainer her. Die Besetzung dieser Position wird richtungsweisend. Bleibt der FC Augsburg auf seinem Weg zum Entwicklungs-Klub für talentierte Spieler – oder ordnet er die Nachhaltigkeit wieder dem kurzfristigen Erfolg unter? Fakt ist: Für den Ströll-Weg vor der Saison brauchte es Mut. Für die Trennung von Wagner jetzt eher weniger.
Richtig sein könnte sie aus sportlicher Sicht trotzdem. Denn auch unter Jess Thourp debütierten Talente für den FC Augsburg. Die Mannschaft spielte relativ konstant, wenn auch unspektakulär. Die Fans haben die Wagner-Verpflichtung deswegen auch mit deutlichen Worten kritisiert. Womit sie Recht haben: Manchmal ist der langsamere Weg der dauerhaftere. Und mit Nachhaltigkeit kennt Ströll sich ja eigentlich aus.
